Arbeitnehmermarkt im Jahr 2024 – noch immer gehen viele Beschäftigte davon aus, dass sie sich 2024 ihre Jobs aussuchen können. Das gaben 62 Prozent bei einer von XING beauftragten Befragung an. In dessen Auftrag hatte das Meinungsforschungsinstitut Marketagent im Oktober 2023 insgesamt 1003 erwerbstätige Personen im Alter zwischen 18 und 65 Jahren in Deutschland über eine repräsentative Online-Umfrage zum Arbeitsmarkt der Zukunft befragt. Wichtigstes Kriterium bei der Jobwahl bleibt das Gehalt, aber Faktoren wie Flexibilisierung, Vereinbarkeit, Unternehmenswerte und Nachhaltigkeit fallen immer stärker ins Gewicht.
Trotz großer wirtschaftlicher Herausforderungen müssen sich Arbeitgeber engagieren, wenn es um ihre Employer Brand – ihre Arbeitgebermarke – geht. Vor allem bei der jüngeren Generation (70 Prozent) spielt das Thema „Unternehmenskultur“ eine ausschlaggebende Rolle und auch die sogenannten Silver Worker (60–65 Jahre alt) gewichten den Aspekt hoch (60 Prozent). „Auch wenn wir uns gerade mitten in einer Rezession befinden, leidet Deutschland der konjunkturellen Delle zum Trotz unter einem massiven Fachkräftemangel, der sich aufgrund des demographischen Wandels in den nächsten Jahren noch deutlich verstärken wird. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind somit das rare Gut der Zukunft“, sagt Arbeitsmarktexperte Dr. Julian Stahl.
Eine weitere, im Januar 2024 veröffentlichte Studie, macht Hoffnung, dass sich das Engagement auszahlen dürfte: Trotz hoher Wechselwilligkeit – mehr als jede:r dritte Deutsche kann sich einen Jobwechsel vorstellen, wünschen sich die Befragten aber auch Sicherheit und ein langfristiges Beschäftigungsverhältnis.
Best-Work-Ansatz bei EnBW
Der Arbeitsort ist ebenfalls ein relevantes Kriterium – Home-office bleibt gefragt. Die Mehrheit (61 Prozent) erwartet von ihren Firmen zudem besondere Anreize und Attraktivität in den Räumlichkeiten, um ins Büro kommen zu wollen. Für Colette Rückert-Hennen, Personal- und Vertriebsvorständin des Energiekonzerns EnBW, ist die aktuelle Debatte um Home-office ja oder nein wenig zielführend. Stattdessen brauche es einen Diskurs um „das beste Arbeiten“, sagt sie. Denn letztlich gehe es immer um Menschen und „darum, wie wir gemeinsam mit Veränderung umgehen“, so Rückert-Hennen. Als Beispiele nennt sie nicht nur die Mobilitäts- und Energiewende, sondern auch die Jobwende. „Aus meiner Sicht geht es um die beste Lösung fürs Unternehmen und die Mitarbeitenden. Es geht darum, wie wir die besten Ergebnisse erzielen, bei hoher Zufriedenheit“, führte die Personalvorständin weiter aus.Wie sich das erreichen lässt, daran arbeitet die EnBW unter dem Motto „Best Work“ schon seit 2021. Nach rund drei Jahren fällt das Fazit sehr positiv aus: „Es ist uns gelungen, die Ziele des Unternehmens klar im Fokus zu haben. Performance und Qualität stimmen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat sich verbessert“, fasst Rückert-Hennen zusammen. Die richtige Balance zwischen Homeoffice und Anwesenheit sei dabei ein wichtiger Aspekt von vielen gewesen.
Ein Zurück ins Büro, wie es viele Unternehmen mittlerweile wieder von ihren Mitarbeitenden einfordern, gibt es auch bei den Stadtwerken Pforzheim nicht. Wo es möglich ist, können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiterhin zu 100 Prozent mobil arbeiten. Von Remote Work profitieren aber nicht nur die etablierten Unternehmen der Energiebranche, auch Start-ups machen sich die neue Art zu arbeiten zunutze. Für das Start-up Q-Bility, das einen digitalen Marktplatz für den Handel mit Emissionszertifikaten entwickelt hat, hat das gleich mehrere Vorteile, wie Unternehmensgründer Dominik Trisl erklärte. „Es vergrößert den Bewerberpool und ermöglicht es uns, andere Lohnkosten aufzurufen als im vergleichsweise teuren München“, so Trisl. Für das junge Unternehmen, das sich erst 2022 „ganz klassisch am Küchentisch“ gegründet hat, ist das ein wichtiger Wettbewerbsvorteil.
„Es ist uns gelungen, die Ziele des Unternehmens klar im Fokus zu haben. Performance und Qualität stimmen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat sich verbessert.“
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Colette Rückert-Hennen, Personal- und Vertriebsvorständin des Energiekonzerns EnBW
Die Xing-Studie hat auch Ansichten zur viel diskutierten 4-Tage-Woche eingeholt. Sie wird zwar als Zukunftsmodell, aber von mehr als der Hälfte kritisch gesehen, was ein Modell bei vollem Lohnausgleich angeht. 53 Prozent meinen, das könne sich die Wirtschaft nicht leisten, während 45 Prozent auch Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit dadurch gefährdet sehen. Spannend wird es daher zu verfolgen sein, wie das Pilotprojekt zu 4-Tage-Woche in der deutschen Wirtschaft sich schlägt und welche Ergebnisse in Sachen Produktivität und Mitarbeiterzufriedenheit sich ergeben. Carsten Meier, Co-Founder von Intraprenör und Mitinitiator des deutschen Modellversuchs, ist es wichtig, dass der Fokus dabei „nicht auf Laptop-Arbeit“ liegt. Flexibilisierung und Vollzeit mit weniger Sunden sei prinzipiell überall denkbar, wenn die Parameter stimmten. „Mit weniger Zeit die gleiche Leistung zum gleichen Gehalt – darum geht es.“ Meier führt eine Beratungsagentur für Employer Branding in Berlin, die selbst seit sieben Jahren die 4-Tage-Woche praktiziert. Die am Modellversuch teilnehmenden Firmen seien „ein Querschnitt durch Unternehmensgrößen und Branchen.“
Das Testmodell wird von Prof. Dr. Julia Backmann wissenschaftlich begleitet (Westfälische Wilhelms-Universität Münster). Es gehe auch darum, die deutsche Studie umfangreicher aufzusetzen als bisherige aus dem Ausland, so Meier. Diese nämlich sind angreifbar in ihrer Auslegung – wenn sie so gelesen werden, dass die Umstellung von fünf auf vier Arbeitstage in der Regel mit mehr Produktivität und zufriedeneren Beschäftigten einhergeht (Seite 10).
Stadtwerke Pforzheim testen 4-Tage-Woche flex
Die Stadtwerke Pforzheim aus Baden-Württemberg testen sogar schon eine reduzierte Wochenarbeitszeit. Sie bieten seit dem Jahresanfang ihren Beschäftigten eine „4-Tage-
Woche flex“ an. Dabei senken sie die Wochenarbeitszeit zunächst von 39 auf 37 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Damit könnten die Vollzeitmitarbeitenden alle zwei Wochen einen Tag frei nehmen. Der freie Wochenarbeitstag wird in Absprache mit dem jeweiligen Team festgelegt, kann jedoch nicht angespart werden. Zu den 30 Urlaubstagen kommen also weitere freie Tage hinzu.
2025 will das Unternehmen möglicherweise noch einen draufsetzen, wie Geschäftsführer Herbert Marquard ankündigte: „Sollte das Modell gut angenommen werden und alle Prozesse weiterhin laufen, planen wir für das Jahr 2025 den nächsten Schritt – die volle 4-Tage-Woche für alle Beschäftigten der SWP.“ Um die Versorgungssicherheit nach wie vor zu gewährleisten, müssen die Teams aber weiter alle Arbeitstage abdecken. Die Arbeitnehmenden arbeiten dann im Schnitt 8,2 Stunden pro Tag. Flexibilität gibt es auch beispielsweise für Eltern mit Kindern bis zum 14. Lebensjahr und Teilzeitbeschäftigte. Diese können die reduzierte Gesamtarbeitszeit bei Bedarf auch auf die üblichen fünf Arbeitstage strecken. Auch die Auszubildenden und Studierenden profitierten anteilig von dem Modell.
„Ich habe größtes Vertrauen in die Belegschaft und denke, dass die Einführung des neuen Modells nicht nur positiv angenommen, sondern auch sehr gut umgesetzt wird“, sagte Marquard. Mit dem neuen Arbeitszeitmodell wolle das Unternehmen „noch attraktiver“ auf den Arbeitsmarkt werden und konkurrenzfähig bleiben. „Gerade im Rennen um Fachkräfte ist es wichtig, neue Anreize zu setzen und jungen Talenten ein bestmögliches Arbeitsumfeld zu bieten“, ergänzte Ulrike Adam, Bereichsleiterin Personal und Services bei den Stadtwerken.
Arbeitnehmende sind laut XING-Umfrage auch bereit, Jobgespräche offener zu führen – beispielsweise, wenn es um die Zusammensetzung des Gehalts geht. Sie sind bereit, flexibler zu verhandeln. Laut Befragung kann sich rund ein Drittel der Deutschen (31 Prozent) ein Vergütungsmodell vorstellen, das sich aus Arbeitszeit, Zielerreichung sowie Erfahrungs- und Problemlösungskompetenz zusammensetzt. Insbesondere Frauen (39 Prozent) stehen neuen Kriterien zur Gehaltsbemessung offen gegenüber. Wohingegen Männer (16 Prozent) auch mit dem Erreichen von Zielen als einzigem Kriterium zufrieden wären.